Der Feind ist der Föderalismus

 

Was haben Corona-Deutschland und die Wissensrepublik miteinander gemein? Wer jetzt glaubt, beide stünden kurz vor dem Kollaps, der irrt. Unser Land ist im Allgemeinen ein starker Wissenschaftsstandort, und es wird auch die Corona-Krise überleben, allen apokalyptischen Szenarien zum Trotz. Nein, das epidemiegeplagte Land und sein Wissenschaftssystem sind keine moribunden Kranken, aber sie haben einen gemeinsamen Feind: den Föderalismus.

Der Kolumnist lehnt die föderale Ordnung des Grundgesetzes keineswegs aus Prinzip ab. Der ist für ein Land, das so vielfältig ist wie Deutschland, in dem Bayern genauso wie Rheinländer, Holsteiner so wie Sachsen gut und gerne leben wollen, eigentlich eine feine Sache. Eigentlich, denn was in der Corona-Krise täglich zu besichtigen ist, ist Kirchturmpolitik provinziellster Sorte im Angesicht einer globalen Bedrohung. Fragen Sie sich auch, warum 16 Krisenstäbe ihren Landesregierungen je unterschiedliche Ratschläge geben müssen, was jetzt zu tun ist? Warum in Hessen die Schulen zunächst offen, in Niedersachsen aber zu und in Berlin einige zu und einige offen sind? Haben Sie sich geärgert, dass die Stadt Oldenburg auf ihrer Website am Donnerstag bekanntgab, der Unterricht finde ab Montag nicht statt, die Landesregierung die Empfehlung ihres Krisenstabes aber erst am Freitagmorgen zu ihrer offiziellen Politik erklärte? Wenn ja, dann beschweren Sie sich bei den Parteien, die, alle miteinander, eine Reform des deutschen Förderalismus an Haut und Haaren jahrzehntelang verschlafen haben.

Denn unter den Folgen hypertropher Kleinstaaterei leidet nicht nur die Corona-Republik. Forschung und Wissenschaft sind, so wie die Bildung, Ländersache. Ausbuchstabiert heißt das, dass 16 Zwergstaaten sich eigene Universitäten halten, für deren Finanzierung sie nach föderaler Logik zuständig sind. Finanzstarke Länder wie Bayern und Baden-Württemberg bekommen das so leidlich hin, Pleitekandidaten wie Bremen und das Saarland sind heillos überfordert. Universitäten, die mit Harvard und Oxford in einer Liga spielen, sind unter den Bedingungen des deutschen Föderalismus ein frommer Wunsch.

Um halbwegs wettbewerbsfähig zu sein, tricksen Bund und Länder das von ihnen selbst ersonnene föderale Kooperationsverbot aus: Der Bund beteiligt sich durch die Hintertür an der Forschungsfinanzierung, indem er die Geldkoffer der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Milliarden füllt. Die DFG ist ein Forschungsförderer, bei dem Wissenschaftler Anträge stellen können, die von anderen Wissenschaftlern begutachtet werden. Was gut klingt, hat einen Riesenhaken: Um finanziell über die Runden zu kommen, müssen Professoren einen wahren Antragsmarathon absolvieren, mit unsicheren Erfolgsaussichten. Im Klartext: Weil sie ständig Forschung versprechen und die Anträge ihrer Kollegen begutachten müssen, haben sie keine Zeit mehr, selbst zu forschen.

Hier wie dort führt sich der deutsche Föderalismus ad absurdum. Will Deutschland weiter auf Weltniveau mitspielen, gehört die Kleinstaaterei gebändigt, der Bund mit Kompetenzen ausgestattet, um den föderalen Wildwuchs zu beschneiden. Die Schweiz macht vor, wie es geht. Tun wir es ihr nach!

 

 

 

 

 

Prof. Michael Sommer, geb. 1970 in Bremen, ist Vorsitzender des PFHT. 
Er lehrt Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Von ihm ist die Römische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Untergang. Stuttgart: Kröner. 2016.

 

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