Pressemeldung der Justus-Liebig-Universität zur PV 2017-1: Nr. 109 • 16. Juni 2017
Internationalisierung – Voraussetzung für Spitzenforschung und Innovation?
Die Universität Gießen ist Gastgeberin des Philosophischen Fakultätentages 2017 – Öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema „Internationalisierung“ am 22. Juni 2017
„Die internationale Ausrichtung deutscher Hochschulen ist wichtiger denn je. Der Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung und Innovation“, heißt es auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). „Die internationale Vernetzung der deutschen Universitäten und Fachhochschulen charakterisiert längst die deutsche Hochschullandschaft“, betont der Deutsche Akademischen Austauschdienst (DAAD), der die Hochschulen und ihre internationalen Partner dabei unterstützt, Netzwerke auf- und auszubauen. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) erklärte im November 2016, es müsste eine „Europäische Bildungs-, Forschungs- und Innovationsgemeinschaft“ geschaffen werden. Grund genug, das Thema „Internationalisierung“ auch beim Philosophischen Fakultätentag in den Fokus zu rücken. Gastgeberin des „PhFT 2017“ ist die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), die 2016 ihre neue Internationalisierungsstrategie mit dem Titel „Fortschritt durch Internationalisierung – JLU International 2016-2026“ vorgelegt hat.
Zum Auftakt des Philosophischen Fakultätentages 2017 findet am 22. Juni 2017 um 18.00 Uhr in der Uni-Aula eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zum Thema „Internationalisierung“ statt. Die Öffentlichkeit ist zu der Veranstaltung herzlich eingeladen.
Alter Wein in neuen Schläuchen oder Modernisierungsschub? „War nicht die Internationalität die Grundidee deruniversitas studiorum et magistrorum, als diese Institution im 11. Jahrhundert in Europa eingeführt wurde?“, gibt Prof. Dr. Cora Dietl zu bedenken. Die JLU-Professorin für Deutsche Literaturgeschichte ist stellvertretende Vorsitzende des Philosophischen Fakultätentages und Präsidentin zweier internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften (International Arthurian Society, Société internationale pour l’étude du théâtre médiéval) und hat die Einladung nach Gießen ausgesprochen. Sie erinnert an die Anfänge der Institution „Universität“: „Es ging ja gerade darum, dass Studenten und Lehrende aus ganz Europa und aus verschiedenen Gesellschaftsschichten (pauperes, nobiles und Ordensleute) einen international gültigen Studienabschluss und die Lizenz, überall zu unterrichten (ubique docendi), erreichen sollten.“
Was also ist neu an dem aktuell in Wissenschaft und Wirtschaft als zukunftsweisend propagierten Konzept der „Internationalisierung“? Was verbirgt sich konkret hinter diesem Konzept – und welche Chancen und Risiken birgt es in sich, speziell für die Geisteswissenschaften? Diese und weitere Fragen diskutieren Prof. Dr. Joybrato Mukherjee (Präsident der JLU und Vizepräsident des DAAD), Dr. Claudia Althaus (Programmdirektorin für die Geistes- und Kulturwissenschaften bei der DFG), Dr. Steffen Mehlich (Abteilungsleiter Förderung und Netzwerk der Alexander-von-Humboldt-Stiftung) und Prof. Dr. Roger Fornoff (Fachkoordinator Deutsch als Fremdsprache an der Türkisch-Deutschen-Universität Istanbul). Prof. Dr. Cora Dietl wird die Podiumsdiskussion moderieren.
Der Philosophische Fakultätentag wird an den folgenden Tagen weitere wissenschaftspolitische Themen diskutieren. Auf der Agenda stehen u.a. die Wissenschaftsfreiheit, die Kleinen Fächer und die Betreuungsvereinbarungen. Die Resolutionen, die in dieser Runde verfasst und beschlossen werden, sind nachzulesen unter https://www.phft.de/resolutionen/.
Philosophischer Fakultätentag
Der Philosophische Fakultätentag ist die fächerübergreifende hochschulpolitische Vertretung der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften an den deutschen Universitäten, in der 135 Fakultäten und Fachbereiche an 62 deutschen Hochschulen zusammenarbeiten. Die Arbeit des Fakultätentages richtet sich einerseits nach außen und vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Hochschulleitungen, den Ländern und der hochschulpolitischen Öffentlichkeit im weitesten Sinn. Mit gleichem Nachdruck hat es der Fakultätentag andererseits unternommen, innerhalb der Fächerkultur Veränderungen und Innovationen gestaltend zu begleiten. Er arbeitet mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und dem Deutschen Hochschulverband (DHV) partnerschaftlich zusammen. Im europäischen Hochschulraum nimmt er internationale Belange der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften wahr und arbeitet in den entsprechenden Organisationen mit. Er kooperiert mit den wissenschaftlichen Fachverbänden, ist aber die einzige Institution, die die Gesamtheit der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächer hochschulpolitisch vertritt.
Termin
Öffentliche Podiumsdiskussion „Internationalisierung“ am 22. Juni 2017 um 18.00 Uhr
Veranstaltungsort: Aula der JLU, Universitätshauptgebäude, Ludwigstraße 23, 35390 Gießen
Philosophischer Fakultätentag 2017 vom 22. bis 24. Juni 2017 an der JLU Gießen
Weitere Informationen
Kontakt
Prof. Dr. Cora Dietl
Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen
Otto-Behaghel-Str. 10 B; 35394 Gießen
Telefon: 0641 99 29080; Fax: 0641 99 29089
E-Mail: cora.dietl@germanistik.uni-giessen.de
Die 1607 gegründete Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ist eine traditionsreiche Forschungsuniversität, die über 28.000 Studierende anzieht. Neben einem breiten Lehrangebot – von den klassischen Naturwissenschaften über Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften bis hin zu Sprach- und Kulturwissenschaften – bietet sie ein lebenswissenschaftliches Fächerspektrum, das nicht nur in Hessen einmalig ist: Human- und Veterinärmedizin, Agrar-, Umwelt- und Ernährungswissenschaften sowie Lebensmittelchemie. Unter den großen Persönlichkeiten, die an der JLU geforscht und gelehrt haben, befindet sich eine Reihe von Nobelpreisträgern, unter anderem Wilhelm Conrad Röntgen (Nobelpreis für Physik 1901) und Wangari Maathai (Friedensnobelpreis 2004). Seit 2006 wird die JLU sowohl in der ersten als auch in der zweiten Förderlinie der Exzellenzinitiative gefördert (Excellence Cluster Cardio-Pulmonary System – ECCPS; International Graduate Centre for the Study of Culture – GCSC).
"Den Begriff zurückerobern" - zum Kompetenzbegriff
Interview vom 3. Februar 2016
Interview des PhFT-Vorsitzenden Tassilo Schmitt mit dem Wissenschaftsjournalisten Jan-Martin Wiarda zum Kompetenzbegriff: "Den Begriff zurückerobern". Warum der Philosophische Fakultätentag das Bologna-Reizwort plötzlich wieder gut findet.
Im Oktober 2016 wurde eine gemeinsame Stellungnahme des AFT, E-TFT, KThF und des PhFT zur Thematik der Komeptenzorientierung veröffentlicht: Stellungnahme zur Kompetenzorientierung in den Geisteswissenschaften, das zusammen mit den zwei Theologischen Fakultätentagen und dem Allgemeinen Fakultätentag erarbeitet und ratifiziert worden ist. In seinem Interview betont Prof. Schmitt, dass besonders wichtig sei, den Bildungskern unserer Wissenschaft, selbstbewusst in den Vordergrund der Kompetenzdebatte stellen. Insofern sei die Resolution auch ein Aufruf nach innen, an die Kollegen: "Geht offensiv mit dem um, was Eure Fachlichkeit ausmacht. Ihr wisst doch genau, was Kompetenz ist. Und lasst euch das von niemandem ausreden."
"Drittmittelstarke Denker" - zur Exzellenzinitiative
FAZ vom 3. August 2016
Artikel von Tassilo Schmitt zu Geisteswissenschaften und Exzellenzinitiative.
Für die Geisteswissenschaften ist die Exzellenzstrategie mehr Fluch als Segen. Von ihren Geldern fällt nur wenig für sie ab. Forschungspolitisch setzt sie falsche Anreize. Von Tassilo Schmitt
(Tassilo Schmitt: Drittmittelstarke Denker, exzellent vernetzt, in: FAZ vom 03.08.2016, S. N4.)
Kompetenzorientierung in den Geisteswissenschaften
Oktober 2016
Der Allgemeine, der Evangelisch-Theologische, der Katholisch-Theologische und der Philosophische Fakultätentag haben eine gemeinsame Stellungnahme zur Thematik der Kompetenzorientierung veröffentlicht.
Erklärtes Ziel der Stellungnahme vom Oktober 2016 ist einerseits ein klares Votum für die Kompetenzorientierung gerade auch der Geistes- und Kulturwissenschaften sowie andererseits die Anregung, die begonnene bildungspolitische Diskussion konstruktiv auch in Zukunft fortzuführen.
Stellungnahme zur Kompetenzorientierung in den Geisteswissenschaften
Die Veröffentlichung konzentriert sich auf fünf Gesichtspunkte:
1. Der Hintergrund der bildungspolitischen Diskussion
2. Geistes- und kulturwissenschaftliches Studium und Kompetenzorientierung
3. Der Vorzug der Kompetenzorientierung
4. Geistes- und kulturwissenschaftliche Kompetenzen und Berufsbefähigung
5. Ziel dieser Stellungnahme
Die Veröffentlichung der gemeinsamen Stellungnahme von insgesamt vier Fakultätentagen mag einen besonderen Seltenheitswert besitzen. Umso deutlicher wird durch diese bildungspolitische Initiative die Bedeutung betont, die die beteiligten Fakultätentage dem Konzept der Kompetenzorientierung beimessen. Die gemeinsame Stellungnahme, die in einem Prozess von mehr als anderthalb Jahren entstanden und ratifiziert worden ist, bietet eine erfreulich klare und ausgewogene Position, die auf dem Fundament eines breiten Konsenses innerhalb der universitären Selbstverständigung beruht. Es bleibt daher zu hoffen, dass der innovative Vorstoß der vier Fakultätentage ein gebührendes Echo in der Hochschul- und Bildungspolitik erfährt. (Lesen Sie weiter)
Wahl des Vorstandes des PhFT auf der Plenarversammlung in Wien
Pressemeldung der Universität Bremen zur Wiederwahl von Prof. Schmitt (idw)
Bremer Althistoriker Professor Tassilo Schmitt als Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages wiedergewählt
Bestätigung für erfolgreiche Arbeit: Die Plenarversammlung des Philosophischen Fakultätentages 2016 in Wien hat den Bremer Professor für Alte Geschichte Tassilo Schmitt zum zweiten Mal und einstimmig als Vorsitzenden wiedergewählt. Der Hochschullehrer aus dem Fachbereich Sozialwissenschaften leitet damit zwei weitere Jahre die hochschulpolitische Vertretung der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften an deutschen Universitäten. Schmitt war 2012 an die Spitze des Fakultätentages gewählt worden Dem Philosophischen Fakultätentag gehören Fachbereiche und Fakultäten an, die einen Dr. phil. vergeben. Das Gremium vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Hochschulleitungen, den Ländern und der hochschulpolitischen Öffentlichkeit; außerdem wirkt er mit anderen Fakultätentagen im Allgemeinen Fakultätentag zusammen, dessen Präsidium Schmitt ebenfalls angehört.
Schwerpunktthema bei der Plenarversammlung des Philosophischen Fakultätentages vom 23. - 25. Juni 2016 in der Universität Wien waren Fragen der Qualitätssicherung in der Lehre. Professor André Kieserling (Universität Bielefeld) hatte die Veranstaltung im Rahmen des traditionellen hochschulpolitischen Gesprächs mit einem Vortrag unter der provokanten Überschrift „Vom guten Sinn der schlechten Lehre“ eingeleitet. Der Leiter der Qualitätssicherung der Universität Wien Dr. Michael Hofer ergänzte die Debatte um die Erfahrungen mit dem „Quality Audit“, dem sich die Universität Wien kürzlich in Kooperation mit der „Schweizerischen Agentur für Akkreditierung und Qualitätssicherung“ unterzogen hat. Nach lebhaften Diskussionen hat der Philosophische Fakultätentag mit besonderem Nachdruck die Forderung unterstrichen, dass die aktuelle Debatte über Akkreditierung zu einer „fachnahen Qualitätssicherung“ führen müsse. Das sei zwingende Folge der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zur Akkreditierung einerseits und zur Rolle der Fakultäten in den Universitäten andererseits.
Auf der nächsten Plenarversammlung, die vom 24. - 26. November 2016 an der Universität Bonn stattfinden wird, sollen u.a. die Rolle von Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehramtsausbildung, die Bedeutung der so genannten „Kleinen Fächer“ und der Nutzen von Betreuungsvereinbarungen diskutiert werden.
"Blühende Vielfalt im Wissenschaftsgarten" - Kleine Fächer
Universität Bamberg, uni.vers 2016
Warum kleine Fächer für Universitäten eine profilbildende Bedeutung haben (Link zum Themenheft: uni.vers 2016)
Das uni.vers-Heft, welches im Anschluss an die Bamberger Plenarversammlung entstanden ist, wendet sich den Kleinen Fächern zu, die an der Universität Bamberg einen besonderen Stellenwert haben. Martin Beyer geht in seiner Einleitung ausführlich auf den Vortrag ein, den Herr Dr. Lange zur Eröffnung unserer Konferenz mit dem Schwerpunktthema Kleine Fächer gehalten hat.
Blühende Vielfalt im Wissenschaftsgarten - Kleine Fächer im Bologna System (619.1 KB)
Warum kleine Fächer für Universitäten eine profilbildende Bedeutung haben
von Martin Beyer und Sebastian Kempgen
Zur Hochschulentwicklung im Land Sachsen-Anhalt
29. Mai 2014
Stellungnahme des Philosophischen Fakultätentages zur Hochschulentwicklung im Land Sachsen-Anhalt
Promotionsrecht für Fachhochschulen
FAZ vom 11.12.2013
Promotionsrecht für Fachhochschulen. Die dreifache Dummheit eines wissenschaftspolitischen Arguments
Von Tassilo Schmitt
Ein Dr. (FH)
Um das Promotionsrecht wird im deutschen Hochschulsystem ein Streit ausgetragen. Fachhochschulen verweisen darauf, dass sie den Professorentitel verleihen dürfen. Weshalb also nicht den Doktortitel? Zumal an vielen von ihnen geforscht wird – und an manchen Universitäten gerade die Qualität der Promotionen in Zweifel stehen. Andererseits werden hierzulande jährlich etwa 25.000 neue Doktorhüte aufgesetzt. Soll man sagen "Dann kommt es auf ein paar mehr auch nicht an"? Oder umgekehrt: "Wir haben ohehin schon zu viel"? (kau)
Dicke Luft durch Open Access
Bericht zur Podiumsdiskussion an der Fernuniversität Hagen, Rubrik Aktuelles, vom 10.01.2014
Dicke Luft durch Open Access
Von Matthias Fejes
Podiumsdiskussion an der FernUni über die Verbreitung von wissenschaftlichen Inhalten im Internet
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Es herrscht dicke Luft. Verlage, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind sich beim Thema Open Access, also freiem Online-Zugang zu Zeitschriften, Büchern und sonstigen wissenschaftlichen Quellen, uneins. Probleme bereitet das Urheberrecht:
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Wer darf im Internet wo und wie auf Bücher, Bilder und Texte zugreifen? Kann Material heruntergeladen und ausgedruckt werden und wenn ja, wem gehören die Inhalte – Verlagen, Nutzerinnen und Nutzern? Oder doch den Autorinnen und Autoren?
Mehr…
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FAZ vom 19.07.2013
Die Geisteswissenschaften wehren sich gegen falsche Ansprüche der Informatik, aber setzen
auf die "Digital Humanities"
Von Jan Röhnert
Trotz Digitalisierung sind die Forscher weiterhin auf ihre eigene Kreativität und Reflexion angewiesen.
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Selten war die Einmütigkeit unter den Betroffenen so groß: Eine ganze Wissenschaftskultur stellt sich quer zum Zeitgeist - und könnte ihm dennoch bald geopfert werden. Dabei geht es dieses Mal nicht um die Kürzung oder Schließung einzelner Fächer in Zeiten von Spardiktat und Haushaltsknappheit. Ein Gespenst geht unter den Geisteswissenschaftlern um - das Gespenst einer feindlichen Übernahme ihrer Fächerkultur durch die Dogmen der Informatik. Diese Drohkulisse zeichnete sich jüngst auf dem Sommerplenum des Philosophischen Fakultätentages in Chemnitz ab. Sie ließ andere Debatten wie die Unzufriedenheit mit der gängigen Praxis des auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts stehenden Akkreditierungswesens, die Solidarität mit dem Protest des DAAD gegen umfangreiche Mittelstreichungen des Auswärtigen Amtes oder den Umgang mit Plagiaten in Promotionen in den Hintergrund treten.
Für tiefe Verstörung unter den Delegierten sorgte nicht etwa die anerkannte Notwendigkeit, sich den Herausforderungen der digitalen Wissensgenerierung und -vermittlung zu stellen, sondern die Forderung der Informatik, mit dem Einzug der Digitalisierung auch das Arsenal ihrer mathematischen Methoden und Instrumente über interpretationsintensive, hermeneutisch ausgerichtete Disziplinen wie die Philologien oder die Geschichtswissenschaften triumphieren zu lassen. Die mit nahezu missionarischem Eifer vertretenen Thesen des Bremer Informatikers Manfred Wischnewsky zu einem "Paradigmenwechsel" in den Geisteswissenschaften, die in einem gewaltigen digitalisierungstechnischen Umstrukturierungsprozess einem "alten Menschheitstraum" näher kämen, brachten in all ihrer Missverständlichkeit die Alarmglocken der Delegierten zum Klingeln.
Der prophezeite Qualitätssprung durch die Paradigmen der Informatik samt beigefügter Begründung, wonach die Anforderungen von morgen nicht mit den Methoden von gestern zu bewältigen seien (so wurde Jürgen Renn vom Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte zitiert), erinnerte in seiner Programmatik frappierend an ebendie Methoden von gestern oder vorvorgestern - nämlich den Positivismus des späten 19. Jahrhunderts. Das Beispiel der als Meilenstein gepriesenen Klangrekonstruktion eines antiken Instrumentes schien nurmehr eine Informatikgläubigkeit zu bestätigen, die quantitativ erzeugte technische Simulationen bereits als qualitativen Wissenszuwachs ausgibt.
Wer Zeuge dieser Diskussionsrunde im früheren Karl-Marx-Städter Interhotel wurde, wo gegenüber die berühmte Marx-Büste an einen anderen fatalen Traum vom "neuen Menschen" erinnert, der erlebte ein klassisches Lehrstück in der Konfrontation der "beiden Kulturen" (Charles Percy Snow), und zwar zwischen dem quantitativ akkumulierenden Wissen der Naturwissenschaften und Technikdisziplinen auf der einen und dem qualitativ deutenden Denkmodell der Geisteswissenschaften auf der anderen Seite.
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Es wird noch einiger grundlegender Arbeit bedürfen, um die immer wieder beschworene Brücke zwischen Naturwissenschaften, Technik und Geisteswissenschaften auch wirklich tragfähig bauen und beschreiten zu können. Dies ist umso dringlicher, als die digitale Welt in Forschung und Lehre längst Einzug gehalten hat, ohne dass Chancen, Risiken und Konsequenzen dieser irreversiblen Entwicklung bereits hinreichend diskutiert worden wären.
Virtuelle Brückenbauer wie der Göttinger Germanist Gerhard Lauer, der das dortige "Center for Digital Humanities" leitet, oder der Passauer Mediävist und Mathematiker Malte Rehbein, der einen von bundesweit vierzehn Lehrstühlen für "Digital Humanities" innehat, sind mehr denn je gefragt. Wer wie Rehbein einen Abschluss und Erfahrung in beiden Kulturen mitbringt, dem kann es am ehesten gelingen, kursierende Missverständnisse abzubauen und gegebenenfalls Methoden und Erkenntnisse der einen Wissenschaftskultur für die andere fruchtbar zu machen. Das ist etwa dort sinnvoll, erklärt Rehbein, wo es riesige Datenmengen auszuwerten gilt, die mit traditionellen geisteswissenschaftlichen Instrumentarien weder erfasst noch gedeutet werden können.
Solche Software, die - nicht unähnlich den kürzlich aufgedeckten Spionageprogrammen "Prism" und "Tempora" - unvorstellbar große Informationsmengen analysiert, lenkt den Blick auf neuartige Probleme und Fragestellungen, die den Kompetenzbereich des klassischen Geisteswissenschaftlers nicht beschneiden, sondern erweitern könnten. Beispiele hierfür sind die Rekonstruktion fragmentarisch überlieferter antiker oder mittelalterlicher Quellen oder das auf der computergestützten Textanalyse eines in die Tausende gehenden Romankorpus basierende geopoetische Forschungsprojekt des italienischen Literaturwissenschaftlers Franco Moretti.
Rehbein und Lauer warnen zugleich vor überzogenen Erwartungen in die Digital Humanities - sie sind kein Allzweckmittel, sondern taugen vor allem zur Lösung spezifischer, vorab klar definierter Problemfelder. Dort können sie dann allerdings erstaunliche Ergebnisse hervorbringen.
Die Geisteswissenschaften, so der Tenor auf dem Sommerplenum des Fakultätentages, sind also weder technik- noch informatikfeindlich, wollen sich jedoch von außen keine Vorschriften machen lassen, wie sie mit der Digitalisierung umzugehen haben. Und das ist, glaubt man den in beiden Kulturen ausgewiesenen Fachleuten für Digital Humanities, auch gut so. Die Computer liefern eben nach wie vor nur die Fakten und Formeln, während die Reflexion und Kreativität bei den Forschern selbst verbleiben. Bei wem auch sonst?
Der Autor ist Heyne-Juniorprofessor für neuere und neueste Literatur in der technisch-wissenschaftlichen Welt am Institut für Germanistik der TU Braunschweig.
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