Dies ist ein Gastbeitrag des MNFT, vertreten durch den Sprecher Prof. Andreas Terfort.
Die Promotion ist nicht (nur) der erste Schritt zur Professur
In seinem Kommentar vom 26.02. analysiert der Präsident der HRK, Herr Prof. Peter-André Alt, den kürzlich veröffentlichten Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Seine Conclusio wird schon im Titel sichtbar: „Deutschland hat zu viele Doktoren“. Diese Schlussfolgerung stützt sich im Wesentlichen auf die These, dass alle Promovierenden letztendlich eine unbefristete Anstellung an den Hochschulen anstreben. Lediglich im letzten Absatz wird kurz angesprochen, dass „Einzelne Fachkulturen“ auch Promovierte für die Industrie ausbilden.
Der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultätentag (MNFT), als Interessensverband dieses Fächerspektrums, widerspricht der Ansicht von HRK-Präsident Alt vehement. Tatsächlich ist die Promotion wohl in den wenigsten Fächern darauf beschränkt, die erste Stufe zur Professur zu sein. Vielmehr gibt die Promotion den jungen Forschenden die Möglichkeit, sich wirklich intensiv und umfassend mit einem Forschungsthema und seinem Umfeld zu beschäftigen. Dabei werden nicht nur die für die Bundesrepublik und Europa so wichtigen Innovationen geschaffen, für die unsere Universitäten weltweit bekannt sind, sondern auch Gelegenheit zur Persönlichkeitsbildung gegeben.
Tatsächlich braucht gute Forschung Zeit. Zeit, die im Rahmen einer mehrjährigen Promotion zur Verfügung steht. In dem vom MNFT vertretenen Fächercluster werden typischerweise hochmoderne Methoden eingesetzt, deren Erlernen schon alleine Monate benötigt. In manchen Fächern, wie der Physik, werden von Promovierenden Geräte entwickelt, deren Aufbau oft Jahre in Anspruch nimmt, bevor die ersten Messungen durchgeführt werden können. Ebenso wurden nicht zuletzt die Grundlagen für die am Ende äußerst schnell entwickelten Corona-Impfstoffe in jahrelangen Forschungsarbeiten exzellenter Promotionen gelegt. Derartige monolithische Leistungen sind nicht durch eine Serie von Masterarbeiten zu bewältigen, weil alleine der Know-How-Transfer den zeitlichen Umfang einer Masterarbeit überschreiten würde. Forschungsorientierte Masterstudiengänge, wie sie de facto schon zumindest in unserem Fächercluster (und vielen anderen Fächern) bereits gelebt werden, können hier nur eine Startphase sein, aber kein Ersatz für die Promotion.
Die selbständige Forschung an einem komplexen Thema, wofür während eines eng getakteten Studiums keine Zeit zur Verfügung steht, ermöglicht zudem die Entwicklung eigener Problemlösungsstrategien und der üblicherweise stattfindende Einsatz der Promovierenden in der Lehre vermittelt Erfahrung in der Menschenführung, zwei hochgeschätzte Qualifikationen nicht nur an den Hochschulen, sondern bei jedem Arbeitgeber. Die breite Ausbildung, die eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler ausmacht, wird in der Regel nicht in der Industrie vermittelt, die tatsächlich eher erwartet, dass die von ihr eingestellten Promovierten per se über einen hohen Grad an fachlicher und persönlicher Reife verfügen. Dementsprechend arbeiten rd. 58% der Akademiker nach ihrer Promotion in der freien Wirtschaft und im öffentlichen Dienst, wo ihre Führungsqualitäten gebraucht werden, knapp 17% gehen in die außeruniversitäre Forschung und Entwicklung und nur rd. 25% der Promovierten verbleiben tatsächlich im universitären Umfeld (Karrierewege Promovierter – zum Verbleib nach der Promotion, Briedis, Kolja, Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)), in unserem Fächercluster teilweise sogar nur 5% (Studie: Die Promotion in der Physik in Deutschland, DPG 2019).
In einem wichtigen Punkt möchten wir Herrn Prof. Alt aber zustimmen: Die Qualifikation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen durch die Promotion benötigt wertige befristete Stellen. Die Befristung steckt ein klares Ziel und ermöglicht eine faire Planung. Betont ist hier aber auch die Wertigkeit, die den Promovierenden genügenden finanziellen Freiraum gibt, sich auf die Forschung zu konzentrieren. Durch die realen Kürzungen im Hochschulbereich, die sich nach Inflationsbereinigung der Grundbudgets ergeben, ist im Verlauf der letzten Jahre der für die Ausbildung so wichtige akademische Mittelbau gekürzt worden. An vielen Hochschulen werden für die Doktorandinnen und Doktoranden immer noch halbe Stellen vergeben. Hier müsste reagiert werden, indem wir den Besten unseres Systems Gelegenheit gäben, neues Wissen zu schaffen und auch persönlich an junge Menschen weiterzugeben, anstatt ihnen die Promotion zu erschweren oder gar zu verwehren. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass es ein großes Bildungsdefizit gibt, das zu sehr uninformierten, aber umso geräuschvolleren Strömungen geführt hat. Kluge Investitionen im Bildungssektor sind deswegen dringend vonnöten.
Dass wir uns trotz dieser Probleme so viele Doktorandinnen und Doktoranden leisten, ist eine wichtige Investition in die Zukunft. Tatsächlich liegt der Anteil der Promovierten an der 25-64jährigen Bevölkerung in Deutschland bisher nur bei 1,1 %. In anderen forschungsstarken Ländern, wie Großbritannien, den USA oder der Schweiz, liegen diese Anteile bei 1,2 %, 1,8 % bzw. sogar 2,5 % (Quelle: OECD: Education at a glance, Paris 2020). Nachweislich sind sie auch besser besoldet und seltener arbeitslos. Die Herausforderungen der Zukunft, insbesondere bei der Entwicklung klima-kompatibler Technologien und der Digitalisierung, aber auch der Biotechnologie, lassen sich nur durch hervorragend ausgebildete Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erreichen. Die von Herrn Prof. Alt im letzten Absatz seines Kommentars aufgeworfene Frage, ob sich diese Fertigkeiten nicht auch schon durch forschungsorientierte Masterstudiengänge erlangen lassen, lässt sich also klar mit „Nein“ beantworten.