Prof. Dr. Bruno Bleckmann ist Delegierter des PhFT und lehrt seit 2003 als Althistoriker an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er verfasste zum Thema auch bereits mehrere Artikel, darunter auch diesen Blogbeitrag für den PhFT: Nochmals zum Fall Giffey

 

Die Serie von Politikern, die infolge von Plagiaten zurücktreten müssen, ist seit letzter Woche wieder ein Stück länger. Auch wenn Franziska Giffey den eigentlichen Grund zu verschleiern sucht und ihren Rücktritt lediglich mit der „Diskussion“ um den Doktortitel begründet, ist deutlich, dass ohne die Schärfe der drohenden Sanktion dieser Rücktritt kaum erfolgt wäre. Mag der unrühmliche Grund somit auch evident sein, so hat das diverse Manifestationen von Respekt doch nicht unterbunden. Dahinter steht letztlich eine Auffassung, dass die von politischen Feinden oder von undurchsichtigen Plagiatsjägern initiierten reflexhaften universitären Untersuchungen von Promotionen wenig Gewicht haben und die entscheidenden Gremien auf jeden Fall nicht so viel Respekt verdienen, wie die Würde täuschender Doktoranden. Umso bemerkenswerter erscheinen vor diesem Hintergrund einige Sätze, mit denen Samira El Ouassil in einer Spiegel-Kolumne (https://www.spiegel.de/kultur/franziska-giffey-schummeln-cum-laude-a-ea0d7ead-dac2-4db7-9b33-a0cc67438e9b) begründet, warum die Sanktionierung gerade auch von Politikerplagiaten so wichtig ist:

„Wenn bei Doktorarbeiten geschlampt oder sogar bewusst plagiiert wird, wenn solche Schriften nicht von akademischen Gremien zurückgewiesen und womöglich sogar sanktioniert werden, dann ist das ein großes Problem für unsere gesamte Gesellschaft und das Bildungssystem; umso mehr, wenn es sich dabei um fragwürdige Leistungen von Menschen mit Macht handelt.“

Und weiter:

„Es geht um etwas Grundsätzliches: den Wert, den man wissenschaftlicher Arbeit beimisst. Wenn nicht einmal Menschen in repräsentativen Funktionen dem wissenschaftlichen Arbeiten Wertschätzung entgegenbringen können, aber gleichzeitig davon profitieren, eben weil sie wissen, wie überwichtig akademische Grade in der deutschen Gesellschaft bewertet werden, dann missbrauchen sie nicht nur unser Vertrauen, sondern das System der Wahrheit. Ich könnte mir während einer Pandemie, in der wir auch mit einer gewissen Wissenschaftsfeindlichkeit umgehen müssen, kein schlechteres Signal vorstellen.“

Auch wenn sie von Amtes wegen ebenfalls zu solchen Einsichten hätte finden können, ist die Haltung von Wissenschaftsministerin Karliczek demgegenüber viel weniger deutlich. Ihr Respekt gilt vor allem ihrer Ministerkollegin Giffey, während sie zur Anwendung von Wissenschaftsstandards in Plagiatsüberprüfungen eher diffus bleibt (https://www.deutschlandfunk.de/bundesbildungsministerin-anja-karliczek-cdu-einen-sicheren.868.de.html?dram:article_id=497659 ). Auf die Frage der DLF-Korrespondentin Christiane Habermalz nach ihrer Vorvorgängerin Annette Schavan, die sich stets als Opfer übler Methoden gesehen habe, reagiert die Ministerin zunächst mit einem Bekenntnis zu den strengen Maßstäben des deutschen Wissenschaftssysstems, die sie dann sofort wieder durch bekannte Merksätze der Plagiatsapologetik, insbesondere des angeblichen Wandels der Standards, relativiert:

Karliczek: „Ich finde es richtig, dass Maßstäbe hochgehalten werden. Das ist das Wesen unseres Wissenschaftssystems. Aber auch das Wissenschaftssystem ist Veränderungen unterworfen. Und wir machen auch in der Geschichte häufig diesen Punkt, dass wir mit den Augen von heute auf Dinge gucken, die viele, viele Jahre her sind, die unter ganz anderen Bedingungen stattgefunden haben, die vielleicht auch, ich sage mal, unter ganz anderen Standards stattgefunden haben. Gerade, wenn es auch wirklich schon viele Jahrzehnte her ist. Und deswegen ist das, glaube ich, schon immer eine schwierige Sache, da mit dem Blick von heute die Dinge zu bewerten. Aber selbstverständlich müssen wir die Maßstäbe, gerade auch für das wissenschaftliche Arbeiten, hochhalten. Das ist im Grunde ein Pfund, was wir hier in Deutschland haben, dass wir eine qualitativ sehr hochwertige Wissenschaft haben, dass wir auch in der Forschung immer auf Exzellenz bedacht sind. Das ist das, was uns international stark macht.“

Die oft vorgetragene Behauptung, dass die Prüfer an der Universität einen drei Jahrzehnte zurückliegenden Fall „mit den Augen von heute“ betrachtet hätten und daher zwangsläufig zu einer verfehlten Bewertung gelangt seien, ist freilich gegenstandslos. Im September 2012 konstatierte der die Untersuchung federführend leitende Prodekan auf S. 5 seines Berichts an die Fakultät ausdrücklich:

„Bei der Wertung des erhobenen Befundes waren grundsätzlich nur solche Kriterien anzuwenden und nur solche Maßstäbe anzulegen, bei denen vorausgesetzt werden kann, dass sie im Entstehungszeitraum der Dissertationsschrift in deren fachlichem Bereich als unstrittig gelten durften. … Bei der Überprüfung blieben solche Textstellen letztlich außer Betracht, deren Bewertung in dieser Hinsicht und in Anbetracht des zeitlichen Abstands zur Entstehung der Dissertationsschrift nicht eindeutig möglich erschien.“

Der zeitliche Abstand wurde also von der Fakultät sehr wohl gesehen und bedacht. Die seinerzeit von vielen und nun erneut von der Ministerin kolportierte Legende, dass in den 1980er Jahren alles anders war, es also ein anderes Zitiersystem gab und deutsche Anführungszeichen nicht dasselbe bedeuteten wie heute, mochte die Fakultät jedoch nicht gelten lassen. Auch ansonsten hat diese Legende keine Bestätigung gefunden. Auf die seinerzeit besonders bemerkenswerten Versuche des Philosophen Ludger Honnefelder, Schavan durch derartige Erzählungen zu stützen, reagierte das Verwaltungsgericht 2014 in seinem Urteil (https://openjur.de/u/685638.html) mit Schärfe:

„Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde (…), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (…) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (…), Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.“

Von Exzellenz ist hier nicht die Rede, und auch nicht von dem, „was uns international stark macht“. Auch hierin unterliegt Ministerin Karliczek einem verbreiteten Fehlverständnis: In den Fällen Schavan, Giffey etc. waren und sind nicht etwa die Maßstäbe der höchsten wissenschaftlichen Qualität oder gar der Makellosigkeit hochzuhalten, sondern viel schlichter: der Redlichkeit. Es mag sein, dass uns das Beharren auf der Abwehr von Vortäuschungen nicht exzellenter erscheinen lässt und uns international nicht stärker macht. Doch der Verzicht auf eine solche Abwehr wäre nichts anderes als die Selbstaufgabe der Wissenschaft.

 

 

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