Ein Jahr geht seinem Ende entgegen, das an den Universitäten tiefe Spuren hinterlassen wird. Unter den Einschränkungen von Pandemie und Lockdown hatte vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs zu leiden. Auf seine Situation macht die folgende Stellungnahme des Historikerverbandes aufmerksam:

 

Die Corona-Pandemie stellt den gesamten Wissenschaftsbetrieb vor massive Probleme, gerade auch die archivgestützte historische Forschung. Dies gilt insbesondere für Promovierende und Post-Docs mit befristeten Verträgen. Care-Verpflichtungen, geschlossene Archive und Bibliotheken oder auch die Unmöglichkeit, geplante Forschungsreisen anzutreten, verzögern die wissenschaftliche Arbeit massiv, ohne dass sich in vielen Fällen die Finanzierungsdauer verlängert. Im schlimmsten Fall kann der Wegfall der Finanzierung zu einem Abbruch des Forschungsprojekts aus finanziellen oder inhaltlichen Gründen führen.

 

Betreuungsverpflichtungen
Viele Promovierende und Postdocs mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen haben derzeit einen erheblichen Mehraufwand in der Betreuung. Die Schließung der Kitas und Schulen führte dazu, dass viele neben Arbeit und Forschung ihre Kinder betreuen oder auch beschulen mussten. Die Situation bleibt angespannt, da es derzeit wieder zu Schließungen der Kitas und Schulen kommt. Dadurch ist das Planen des eigenen Forschungsprojekts mit Forschungsaufenthalten, Recherchen etc. nur sehr eingeschränkt möglich.

 

Forschungsaufenthalte
Wissenschaftler*innen konnten und können ihre Forschungsaufenthalte nur eingeschränkt oder gar nicht wahrnehmen. Die Schließung von oder der stark eingeschränkte Zugang zu den Lesesälen der Archive macht eine Planung fast unmöglich. Bei geöffneten Archiven kommt eine erhebliche Wartezeit auf einen Arbeitsplatz hinzu, die den Forschungsprozess und den Abschluss des Forschungsprojekts verzögert. Aufgrund des erhöhten Aufkommens und der eingeschränkten Arbeit der Archive ist auch die Wartezeit für Digitalisate häufig lang, wodurch es ebenfalls zu massiven Verzögerungen im Forschungsprozess kommt.

Auch von der Schließung oder dem eingeschränkten Zugang zu Bibliotheken sind Promovierende und Post-Docs betroffen. Dadurch wird der Zugang zu relevanter Forschungsliteratur erschwert. Die digitalen Angebote der Bibliotheken können dieses Defizit nicht vollständig ausgleichen. Häufig ist die Verfügbarkeit von Bibliotheksarbeitsplätzen eingeschränkt. Doktorand*innen und Post-Docs konkurrieren hier mit den Studierenden. Nicht immer ist in den eigenen vier Wänden ruhiges und konzentriertes Arbeiten möglich und der reibungslose Zugang zu den universitären Infrastrukturen gegeben.

Es ist derzeit nicht möglich internationale Forschungsaufenthalte durchzuführen, die für die Fortsetzung und den Abschluss des eigenen Forschungsprojektes von Nöten sind. Ferner konnten gewährte Forschungsstipendien für Forschungsaufenthalte nicht immer in Anspruch genommen werden.

 

Tagungen und Networking
Durch die Pandemie sind die üblichen Austauschforen [Tagungen, Workshops, Konferenzen etc.) ausgefallen und nun nur noch per Videokonferenz möglich. Damit entfällt eine wichtige Basis des Networking für Promovierende und Post-Docs. Die Vorstellung und Diskussion der Projekte in einer breiten Forschungsöffentlichkeit konnten so zunächst nur schwer umgesetzt werden. Die mittlerweile etablierten Onlineformate können nicht den informellen Austausch ersetzen, den es für eine gute Vernetzung braucht.

 

Arbeitsbedingungen/Finanzierung
Durch die unterschiedlichen Finanzierungsmodelle, 1m Rahmen derer Promovierende und Post-Docs an ihren Forschungsprojekten arbeiten, stellt sich insgesamt eine sehr diverse Situation dar. So sind einige Promovierende als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an Professuren beschäftigt. Die Ad-hoc-Digitalisierung der universitären Lehre führte in den meisten Fällen zu einer Mehrbelastung in der Vorbereitung und Durchführung, da hier neue Formate entwickelt werden mussten; hinzu kam ein erhöhter Betreuungs- und Korrekturaufwand. Vielen war der Zugang zu ihren Büros und den universitären Infrastrukturen nicht möglich, so dass sie mit privaten Geräten arbeiten mussten und immer noch müssen.

Bei vielen ist eine Verlängerung der Promotionsmittel [Projektstellen, Stipendien etc.) nicht möglich. Viele Promovierende haben durch den Wegfall von Nebenjobs und freiberuflichen Tätigkeiten massive Einkommenseinbußen, die es teilweise unmöglich machen, das Forschungsprojekt zu Ende zu bringen. In einigen Bereichen wurden schon Lösungen zu einer weiteren Finanzierung gefunden. Dazu zählen die Verlängerung der Verträge von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen über die Befristungsgrenzen hinaus, die kostenneutralen Verlängerungen bei der DFG oder die dreimonatigen Anschlussfinanzierungen von Promovierenden und Post-Docs in Graduiertenkollegs. Einige Begabtenförderungswerke ermöglichen Anträge, um bei Härtefällen Anschlussstipendien zu gewähren. Dies sind aber nur Einzellösungen; sie können die vielfältigen Einschnitte, welche den Promovierenden und Post-Docs mit befristeten Stellen durch die Pandemie entstanden sind und weiterhin entstehen, nicht auffangen.

 

Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands [VHD) tritt dafür ein und appelliert an die öffentlichen Einrichtungen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung, insbesondere die DFG, dass Historiker*innen mit befristeten Verträgen, deren Forschungen sich durch Care-Tätigkeiten oder durch blockierte Forschungsaufenthalte verzögert haben, zusätzliche Abschlussfinanzierungen von sechs Monaten gewährt werden.

 

 

 

Die Autoren


Prof. Dr. Frank Bösch ist Inhaber der Professur für europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts und Vorstandsmitglied des VHD. Gemeinsam mit Martin Sabrow leitet er das Leibnitz- Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.

 

 

 

 

Katharina Breidenbach ist an der Philosophischen Fakultät der Universität Jena wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie lehrt und forscht zur Geschlechtergeschichte.

PD Dr. Sonja Levsen lehrt und forscht am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas an der Universität Freiburg.

 

 

 

 

 

 

 

Die Stellungnahme steht hier auch als PDF zur Verfügung.

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